Stiftung Gesellschaft mach Schule in Corona-Zeiten

 

Ein Gespräch mit Sandra Mittag-Bornmann, Geschäftsführerin der Stiftung Gesellschaft macht Schule gGmbH und Sabine Kamrath, Projektleiterin der TRIBUTE TO BAMBI Stiftung zu ersten Erfahrungen in der digitalen Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Corona-Zeit

Sabine Kamrath: In der Öffentlichkeit wächst die Sorge, und in den Medien wird auch verstärkt diskutiert, dass angesichts der Corona-Krise die Probleme in belasteten Familien stark zunehmen, es zu Aggression und Übergriffen kommt und sich herkunftsbedingte Bildungsnachteile weiter verschärfen. Wie nimmt die Stiftung Gesellschaft macht Schule das wahr? Und was brauchen Kinder, um diese Krise so gut es geht zu meistern?

Sandra Mittag-Bornmann: Die Probleme nehmen in jedem Fall zu, das merken wir auch. In einer unserer Kooperationsschulen hat es innerhalb der ersten drei Corona-Wochen bereits drei Inobhutnahmen seitens des Jugendamts gegeben. Entlastung erfahren Kinder und Jugendliche durch das Erleben von Gemeinschaft, durch das Teilen von Ängsten und Hoffnungen und auch durch das gemeinsame Entdecken ihrer Umwelt und ihrer persönlichen Fähigkeiten und Stärken. Gesellschaft macht Schule sieht sich daher intensiver denn je in der Pflicht, Angebote zu schaffen, um genau das zu ermöglichen: Gemeinschaft zu erleben, über die eigenen Sorgen und Träume sprechen zu können, etwas Neues über sich selbst oder die anderen zu entdecken – nur eben nun digital.

Die meisten Projekte beruhen ja auf persönlicher Beziehungsarbeit, von Angesicht zu Angesicht. Viele Jugendhilfe-Organisationen sind kaum digitalisiert und stehen hier vor Herausforderungen. Wie sieht das bei Gesellschaft macht Schule aus?

Wir haben uns auf die neue Situation recht schnell eingestellt und neue Angebotsstrukturen entwickelt, alles digital, zum Beispiel bieten wir Kurse digital über Zoom, Microsoft Teams und Face-time an. Somit können die Kinder ihre Sorgen und Nöte mit unseren pädagogischen Fachkräften teilen und sich Rat oder Hilfe holen, oder auch gezielt digitale Angebote nutzen, z.B. in den Bereichen Bewegung und Tanz. Weil wir wissen, dass die Kinder und Jugendlichen unsere Unterstützung gerade in dieser Zeit besonders gut gebrauchen können, ist es uns wichtig, weiterhin ein möglichst direkter Ansprechpartner für die Schülerinnen und Schüler zu bleiben und entsprechend präsent zu sein.

Wie sieht das Angebot im Detail aus?

Per Telefon, auf Instagram GmS goes online, über Videokonferenzen, über Klassenchats, per Email und sogar mit persönlichen Briefen und Rückkuverts per Post treten wir mit den Kindern in Kontakt. Die Kinder und Jugendlichen können sich so z.B. an einer Sport- oder Kunst-Challenge per Videobotschaft beteiligen, mit unseren Kursleitern chatten oder telefonieren, an Tanz-, Yoga- und Fitnessübungen teilnehmen, gemeinsame Filmclips erstellen oder sich in Einzelcoachings zur Berufswahl bzw. zur Bewerbung für einen Ausbildungsplatz coachen lassen.

Dr. Sandra Mittag-Bornmann und Sabine Kamrath im Gespräch

Dr. Sandra Mittag-Bornmann und Sabine Kamrath im Gespräch

Und, gibt es hier schon erste Erfolgsgeschichten zu erzählen?

Ein Schüler erzählte uns bedrückt, dass er seit 5 Wochen nicht aus der Wohnung rausgekommen sei und nur noch mit seinem Bruder streitet. Er sei manchmal zum Einkaufen aus der Wohnung rausgekommen und hätte da vor dem Supermarkt gewartet. Wir haben dann für seinen Geburtstag ein Fußball-Einzeltraining im Freien organisiert. Zudem macht er jedes Mal bei unserem Kurs ”Zoom-Fitness-Training“ mit und brachte seine Familie dazu, sich mehr zu bewegen.

Das Angebot wird also gut angenommen...

Ja, zum Glück. Die Kinder und Jugendlichen nehmen auch an Einzel-Sprechstunden am Telefon mit unseren Pädagogen teil, da sie ja bereits eine über Jahre gewachsene Vertrauensbeziehung zu unseren Kursleiterinnen haben. Sie zeigen großes Interesse an einer Kontaktaufnahme. Ein Mädchen aus der 5. Klasse hat sich besonders gefreut, da sie keinerlei Kontakt zu Mitschülerinnen und Mitschülern aus ihrer Klasse hatte. Sie freut sich sehr darüber, an unseren Online-Kursen teilnehmen zu können.

Instagram HipHop-Kurs von Stiftung Gesellschaft macht Schule

Welche Probleme seht ihr, die ihr gerade noch nicht lösen könnt? Wie sieht es zum Beispiel mit eher jüngeren Kindern und Schülern aus?

Wir stecken enorm viel Arbeit in die Anpassung unserer Angebote, um mit den Kindern in Kontakt zu kommen. Wir leiten sie auch an, wie sie Online-Kanäle einrichten. Aber wir stoßen an Grenzen. Ein Problem ist zum Beispiel, dass wir auf allen Kommunikationskanälen, die wir probieren, dennoch nicht alle Kinder erreichen, weil viele keine Geräte zur Verfügung haben. Unsere Erfahrungen zeigen auch, dass die Grundschulkinder schwerer erreichbar sind als die älteren Schülerinnen und Schüler in den Mittelschulen. Sorgen machen uns sowohl die Kinder, von denen wir nichts hören, als auch diejenigen, von denen wir wissen, dass es ihnen nicht gut geht.

Wie wird sich das in Zukunft entwickeln, worauf stellt ihr euch ein?

Alle unsere nun digitalen Angebote werden auch weiterhin wichtig sein: Für Kinder und Jugendliche, die in Not sind, belastende Situationen erleben oder einfach nur jemanden zum Reden brauchen, stehen die ihnen vertrauten Kursleiterinnen und Kursleiter digital oder per Telefon verlässlich zur Verfügung. Mit den Schulöffnungen sehen unsere Fachkräfte, wie es den Kindern wirklich ergangen ist. Unser Pädagoge Markus König etwa sagt: „Wir blicken in veränderte Gesichter. Die Kinder haben gelitten. Es wartet ein Haufen Arbeit auf uns!“ Durch die Krise rechnen wir mit Mehraufwand an Zeitstunden für unser pädagogischen Fachkräfte zur Stärkung der Kinder und Jugendlichen in unseren Grund- und Mittelschulen. Gleichzeitig werden wir die digitalen Angebote, die wir aufgebaut haben, weiterentwickeln und ausbauen müssen, denn wir denken, dass wir noch eine ganze Weile ein flexibles Angebot für die Kinder und Jugendlichen brauchen. Wir müssen gemeinsam alles dafür tun, damit die Negativ-Folgen dieser Zeit und auch der kommenden Übergangszeit, so gut es geht, aufgefangen werden können. Damit die, die es ohnehin schon schwer haben, nicht noch weiter abgehängt werden.

 

Stiftung Gesellschaft macht Schule - Projekt

Infos erhalten Kinder und Jugendliche aus den Projekten von Gesellschaft macht Schule auch unter:
Zentrale Telefonnummer: 0157 / 344 836 77
Instagram: GmS goes online
Email: info@gesellschaft-macht-schule.de